Zwischenbericht eines ungefragten Ratgebers
Super.
Seit viereinhalb Jahren bin ich also Vater. Ein Vorbild. Jemand der Werte vermittelt – explizit und implizit. Ein menschliches Wesen, dass sich im Rahmen der Erziehungprozesse der Verlockung der Selbstbestätigung zumindest versucht, einigermaßen bewusst zu sein. Sozusagen das eigene Wertesystem vom Ich zu trennen. Eben nicht den Pfad der kompensatorischen Selbstklonung beschreiten, um im Kind die eigenen, unerfüllten Wünsche anzulegen. Es zu vermeiden, die eigene Existenz im kindlichen Gegenüber zu rechtfertigen und den eigenen Lebensweg retrospektiv gutzuheissen. Der Spiegel im Spiegel. Naja – soweit zur Theorie. Ich versuchte mich zunächst an den folgenden Gedanken zu orientieren, um meine eigene grundsätzliche Position zu finden:
An dem Tag, an dem mein Kind geboren wird, beginne ich loszulassen. Ich will und kann es nicht besitzen – ich bin die Leitplanke, die stets je nach Situation abschätzt, wie breit die Fahrbahn des Lebens ist. Das alte Spiel des Ausgleichs – den dem Kind innewohnenden Freiheitsdrang mit den Erfordernissen des physischen und psychischen Überlebens in Einklang zu bringen.
Wie breit dieser Spielraum bemessen ist, kann ich immer nur intuitiv im Kontext bewerten – auf jeden Fall sollen die Handlungsoptionen und Möglichkeiten in der Art weit gefächert sein, dass es meinem Kind, je nach Reichweite des jeweiligen mentalen Horizonts möglich ist, viel Selbstwirksamkeit zu erfahren. Denn letztendlich wünsche ich meinem Kind nur eines: Glücklich sein.
Egal was das Kind macht, ich wünsche ihm Glück, Zufriedenheit und die Fähigkeit, Liebe zu fühlen und selber auch senden zu können (im übrigen möchte auf die Relevanz einer geregelten Verdauung hinweisen – dies schreibe mit dem Expertenwissen eines nicht-akuten Morbus Crohn-Teilhabers).
Doch zurück zum Glück und einer kleinen Runde Rant:
<rant>Ich pfeife auf die ‘Kindheitsoptimierer’, auf die Hoover Parents, die alles kontrollieren und ‘verbessern’ wollen. Chinesisch ab der 12. Schwangerschaftswoche, musikalische Früherziehung mit 6 Monaten, und dann schon mal auf den MBA mit 5 Jahren vorbereiten…
Hinzu sich in Konfliktfällen zwischen Kindern auf dem Spielplatz emotional erratisch verhalten und kleine Erwachsenen-Roboter züchten. Kinder die sich nicht schmutzig machen dürfen, die als Projekt einem Plan zu folgen haben. In time, in quality, in budget (auf die ebenso existierenden schlimmen Fälle von Vernachlässigung will ich hier nicht eingehen. Mein Ärger konzentriert sich an dieser Stelle auf jene, die ‘es’ aufgrund von Bildung, Zugang zu medizinischer Versorgung und Informartionstechnologien, sowie Ernährung eigentlich besser wissen sollten).</rant>
Nun mag man einwerfen, dass jene von mir kritisierten Hoover Parents doch auch nur das Beste für ihre Brut wünschen. Das stelle ich auch nicht in Abrede, und daher ist wohl nun an der Zeit, ungefragt Ratschläge zu erteilen. Oder um einfach festzuhalten, an welchen Werten und Ideen ich mich in der Erziehung des Kindes orientiere:
1. Selbstwirksamkeit, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein
Mut vermitteln, über die bisherigen Grenzen hinauszuwachsen. Das Unbekannte zu wagen und dabei in achtsamer Weise angstfrei zu sein. Sei es im Prozess des Laufen lernens, oder beim Erklettern eines Baums. Selber nicht zu viel quatschen, sondern das Kind die Lösung selber finden lassen. Und auch ehrlich aussprechen, wenn eine Idee nicht gut war.
Also immer sagen, was man meint und meinen, was man sagt. Denn Kinder sind schon früh Experten darin, echte Aufmerksamkeit von vorgespielter zu unterscheiden. Das Zeit-Bewusstsein von Kindern fördert IMHO das intensivere Erleben von einzelnen Momenten. Da hilft als Erwachsener nur eins: aufrichtige Geduld. Sich also auf einen Dialog einlassen, der implizit das Selbstvertrauen exponential fördert – im Fühlen, Denken und Handeln. Frei von Erwartungen sein, das wertschätzen durch wertschätzen vermitteln. Straightness in Liebe. Zugegebenermaßen nicht immer ein Zuckerschlecken, wenn die Brut neue Wege erforscht, die Grenzen des Tellerrands des Genpools auszuloten.
Oft genug hilft hier enorm das Muster ‘Humor’, um dem eigenen EGO-Wahn zu begegnen. Denn auch kleine Kinder können früh ein Verständnis für Ironie und Übertreibung entwickeln – wenn denn der gelebte, alltägliche Referenzrahmen eine Konstanz aufweist und damit leichter neuronal Abbildbar ist. Der Klassiker bei uns zu Hause: das Kind will XYZ haben. Ich antworte, dass ich mir eine Mondrakete wünsche. Danach schauen wir uns an und lachen. Und dann überlegen wir zusammen, was denn alternativ zu XYZ in Frage kommen könnte.
2. Das gute alte Danke-Bitte-Spiel
Auch wenn das kleine Hirn Empathie wohl erst ab dem 6. Lebensjahr entwickelt, so ist es m.E. sinnvoll, mit Eselsgeduld den Wert der Freundlichkeit und Dankbarkeit in den orbito-ventralen Kortex zu kriegen. Nicht um einen sozialen Esel heranzuzüchten, sondern um den Wert des Gegenübers, eines menschlichen Wesens, nie zu vergessen. Was nicht zwangsläufig bedeutet, dass das Kind jeden und alles lieben soll. Es reicht schon, wenn wir uns nicht gegenseitig verkloppen.
Es soll schätzen lernen, dass eine friedvolle Koexistenz im Interesse aller Menschen ist.
Und beim Bitte- oder Danke-Sagen erinnere ich das Kind daran, dem Gegenüber in die Augen zu schauen (was natürlich nicht immer ‘befolgt’ wird. Aber darauf kommt es m.E. auch gar nicht an. Hier zählt die Kontinuität. Bzw – s.o.: Persistenz ohne Druck und Erwartungshaltung).
3. Musik als universelle Sprache erleben
Ich glaube Musik ist extrem wichtig in der Entwicklung. Nicht um die Intelligenz oder die sprachlich/mathematischen Fähigkeiten zu steigern. Das führt, mit Druck ausgeübt, nur zur Verweigerung.
Eigentlich geht es um die ‘seelenrettende’ Wirkung von Musik. Das Spektrum der Musikerfahrungen reicht hierbei vom ekstatischen Stammhirn-getriggerten Tanz bis hinzu zum kontemplativen HÖREN (‘totales Ohrsein’). Aphoristisch gesprochen: Musik ist das Rüstzeug der Seele, um sich vom Ichsein zu erholen – eine Art emotionaler Hafen, der sowohl zum erholen, neu ausrüsten und weiterem Erkunden dient. Affe- und Mensch-Sein in trautester Einheit.
4. Die Liebe zu den Wundern des Universums
Tja, jetzt wird es zum Schluss doch arg biographisch – so’n Mist (siehe Einleitung).
Denn verschiedene persönliche Erfahrungen im Kontext des Astronomie haben die Gewissheit reifen lassen, diese wissenschaftliche Disziplin als Referenzrahmen in mein Wertsystem einzufügen.
Und um die pathetische Keule herauszuholen, ein unvermeidliches Zitat in diesem Zusammenhang:
“Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.”
Antoine de Saint-Exupéry
Warum will ich also die Liebe zum Universum vermitteln?
Weil uns Menschen IMHO nichts deutlicher die Relativität der eigenen Existenz vermittelt. Die schiere Größe, die unglaublichen Distanzen und unfassbaren Energie lassen bescheiden werden. Das ist gut gegen Gier.
Besonders mag ich es den Umstand zu vergegenwärtigen, dass wir nichts anderes als eine Eintagsfliege sind, die nur genau diesen einen Tag hat um ihre Umwelt zu erkunden. Ein Tag, um aus den verschiedenen Aggregatzuständen des Menschen (Schwangerschaft, Baby, Kind, Jugendlicher, Erwachsener, Greis) auf die Entwicklung der Menschheit zu schließen. Inklusive Evolution, Dinosaurier und Ursuppe.
Neben der Relativierung dieser der eigenen Existenz, können die wundersamen Phänomene im Größten oder Kleinsten alle Weisheit lehren können, die wir zur Fortentwicklung unseres Menschseins brauchen können – weil es (z.T.) um Gedankenreisen geht, die zumindest mich merkwürdig hoffnungsvoll und gleichzeitig abenteuerlustig stimmen (z.B. Relativitätstheorie, Quantentheorie, Kosmologie, String Theory/Theory Of Everything).
Wie gemütlich wirkt unser Sonnensystem, wie unschätzbar wertvoll dieser kleine blaue Planet angesichts der Prozesse, die wir beginnen zu verstehen. Denn genau darum geht es – vom großen Abstrakten auf das konkrete Kleine zu kommen. Das ist IMHO unsere verdammte Pflicht ist, diese Zivilisation weiter zu entwickeln, einfach nur, weil es da draußen noch genug zu erforschen gibt. Lernen, lernen, popernen.
Und jetzt mal Hand aufs Herz: kann es im evolutionären Spiel ein anderes übergeordneteres Ziel geben, außer den Weltraum zu erforschen und neue Planeten zu besiedeln?
<utopie>Natürlich als aufgeklärte, post-materialistische Gesellschaft mit transgalaktischer Ontologie bzgl. “Leben” und “Leben lassen” zur Hand. Non-Imperial, Non-Kolonialistisch. Hello Cpt. Picard.</utopie>